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Out now:

Wood & Steel Trio feat. Michael Schiefel
Hollywood Songbook

„Ich schrieb damals [...] wirklich ein 'Hollywooder Liederbuch'. Das heißt, ich schrieb fast jeden Tag zumindest ein Lied – manchmal auch mehr – entweder nach einem Text von Brecht oder nach Hölderlin [...] oder andere Sachen, zum Beispiel nach Pascal. Und auf eine große Mappe schrieb ich drauf: 'Hollywooder Liederbuch' oder 'Hollywooder Tagebuch', daran erinnere ich mich nicht, und sagte: Das ist so mein Zeitvertreib; das ist, was ich neben der Arbeit mache.“
Hanns Eisler, 13. April 1958, aus: „Gespräche mit Hans Bunge - Fragen Sie mehr über Brecht.“

Der Zeitvertreib des großen deutschen Komponisten blieb tatsächlich auch nach Eislers Rückkehr aus den USA lange Zeit in der Schublade. Bis heute sind die Lieder, trotz ihrer frappierenden Qualität und Intensität, wenig bekannt und werden selten gespielt. Der klassische Pianist Eric Schneider hat sie 1998 mit dem Sänger Matthias Goerne in der Ästhetik des Kunstlieds auf ein Album gebracht. Eine Weile später beschäftigten sich Schneider und Michael Schiefel mit den Stücken, allerdings nur zum Privatvergnügen. Danach trug Schiefel das Repertoire lange im Hinterkopf mit sich herum. „Die Herausforderung war, dass Eisler die Musik so filigran und komplex wie einen Seiltanz angelegt hat. Man kann nicht damit herumspielen oder experimentieren, ohne sie zu beschädigen“, erklärt der Sänger. Die Lösung lautete schließlich: statt die Notation zu ändern, galt es eine andere Instrumentierung zu finden. „Ich schlug die Idee dem Wood & Steel Trio vor und sie waren begeistert, den Klavierteil zu übernehmen“, erinnert sich Schiefel. Noch in die Entwicklungsphase platzte das Angebot des Berliner Jazzfestivals, ihre Version des „Hollywood Songbook“ live zu präsentieren.

„Neben der Kraft der Texte faszinierte uns die Bandbreite der musikalischen Sprache und die kondensierte Substanz der einzelnen Lieder“, beschreibt Marc Muellbauer die Eindrücke, die Eislers Musik beim Wood & Steel Trio hinterließ. Mit Kontrabass, der stählernen, akustischen Dobro-Gitarre, einem metallisch-flirrenden Vibraphon oder einer hölzern, warm timbrierten Marimba orchestriert die Band die Lieder nun völlig neu, veränderte aber so gut wie keine Note des Originals. Grundsätzlich war ihnen diese Arbeitsweise nicht fremd. „Wir hatten schon früher an Arrangements von Klaviermusik gearbeitet, beispielsweise für unser Album Secret Ingredient ein Notturno von Grieg adaptiert“, sagt Muellbauer.

Die Aufteilung der Komposition auf die ungewöhnliche Instrumentenkombination erwies sich dennoch als anspruchsvolles Unterfangen. Viele Ideen, etwa parallel geführte Stimmen, wurden ausprobiert und verworfen. Darüber hinaus wollten die gestandenen Jazzer natürlich nicht ganz auf Improvisationen verzichten. „Die Lieder selbst ließen wir in ihrer kargen Lakonik unangetastet. Aber wir nahmen wenige Takte aus einzelnen Stücken und improvisierten daraus Zwischenspiele, denen wir komplett frei assoziierte Teile entgegensetzen“, erklärt Muellbauer und Schiefel ergänzt, „die neuen Einleitungen reflektieren auf unsere Art die Stimmungen der darauf folgenden Stücke.“

Es ist nicht überliefert, welche Spielweise Eisler für sein Hollywood Liederbuch im Kopf hatte. Zumal er selbst recht nonchalant mit Stilen jonglierte, sich eben nicht irgendwelchen Vorgaben unterwarf, die ihn bei seiner Auftragsarbeit als Filmkomponist quälten. „Ich habe mir vorgestellt, dass dieses eklektische Liederbuch für Eisler ein Weg zu einem innerem Ausgleich war“, sagt Michael Schiefel. Die Idee, sich selbst beim Komponieren keinen stilistischen Rahmen zu setzen, ist für den variablen Sänger natürlich zeitgemäßer denn je.

Michael Schiefel singt Eislers Liederzyklus auf seine individuelle, klangfarbenreiche Art, mit der er in den letzten Jahren nicht nur innerhalb der Jazz-Szene markante Akzente setzte. „Lieder wie Der Kirschdieb und Der Schatzgräber sind mit funktioneller Harmonik ziemlich eingängig angelegt“, skizziert Schiefel das Repertoire, „Vom Sprengen des Gartens könnte aus dem 19. Jahrhundert stammen, Schatzgräber mit seiner Poesie von Goethe sogar noch älter sein. Dagegen verweisen In den Weiden, Frühling und Der Sohn klar aufs 20. Jahrhundert. Ihre starken Tonsprünge sind zwar nicht richtig atonal, gehen aber manchmal in unerwartete Richtungen und sind sehr anspruchsvoll zu singen.“ Gleiches gilt für das kontrastreiche Nightmare, während An den kleinen Radioapparat seine melancholische Beunruhigung in eine trügerisch schöne Melodie kleidet.

Wenn man Eislers Exilmusik und Bertold Brechts auf der Flucht und in den Vereinigten Staaten verfassten Texte heute hört, kommt man kaum umhin, an Flüchtlingsdramen der Gegenwart zu denken. „Brechts Sprache ist von einer Haiku-artigen Knappheit, es gibt kein Wort zu viel“, konstatiert Marc Muellbauer, „gleichzeitig sind die Gedichte Momentaufnahmen, die in ihrer Intimität etwas Universelles haben. Sie beschreiben die kleinen Dinge, und lassen dadurch das Grauen, durch das sie entstanden sind, unerbittlich hervortreten. Diese 70 Jahre alten Lieder lesen sich angesichts der aktuellen Flüchtlingsschicksale noch einmal komplett und erschütternd neu.“

Der Tiefe und Komplexität von Eislers Hollywooder Liederbuch werden Michael Schiefel und das Wood & Steel Trio mehr als gerecht. Sensibel kreieren sie höchst nuancierte und intensive Interpretationen, transzendieren den Geist der Originale respektvoll in eigenwillige neue Variationen, die über den Tag hinaus Bestand haben. Vielleicht wird es eines fernen Tages keine Fluchten mehr geben müssen, doch selbst dann werden diese Lieder immer noch tief berühren. Besonders in dieser aller Voraussicht nach einmaligen Interpretation des charismatischen Sängers Michael Schiefel mit dem unvergleichlichen Wood & Steel Trio.

„Das war die entsetzliche Idylle dieser Landschaft [...]. Brecht beklagte sich [...]. Es wäre ihm alles zu lau und zu milde [...] und diese ewige Blumenblüherei wäre überhaupt schon zum Kotzen. [...] Und das führte eben auch zu diesem ganz knappen und konzisen Stil als Gegengift. ‚Da darf man sich auf keinen Fall gehen lassen, wenn die Luft so milde ist‘, meinte er.“ Hanns Eisler, 13. April 1958.

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Michael Schiefel - Platypus Trio

 „What about the Platypus?“ (aus: »Dreamtime Platypus«)

Das Schnabeltier (lat.: Platypus) ist ein faszinierender Sonderfall der Biologie. Die Zoologen mussten eigens eine taxonomische Untergruppe für das Tier einrichten, das sowohl Eigenschaften von Säugern, Vögeln und Reptilien in sich vereint.
Michael Schiefel ist ein faszinierender Ausnahmemusiker. Er ist Sänger, und vereint in seiner Stimme „die Artikulationsfähigkeit einer hellen Frauenstimme“ mit „den rauchigen Farbgebungen der großen "Crooner" Frank Sinatra und Dean Martin“, wie die FAZ schrieb. Aber wenn er beispielsweise nur mit seiner Stimme und etwas Live-Elektronik solo auftritt, zeigt er sich auch als virtuoser Instrumentalist der Stimme. Kurz: „Dieser Mann ist sein eigenes Genre…“ (Die Welt)
Und Michael Schiefels neues Album »Platypus Trio« ist ein faszinierendes Novum in der Entwicklungsgeschichte seiner breit gefächerten Diskografie. Denn zum ersten Mal tritt Schiefel hier als Frontmann und Chef auf. „Abgesehen von meinen Solo-Projekten ist das die erste Band, die ich überhaupt selber leite. Ich habe die Musik geschrieben, die Musiker ausgewählt. Das ist ein ungewöhnliches Gefühl für mich, weil ich das noch nie gemacht habe.“ Das hätte man nicht gedacht, schließlich ist Michael Schiefel spätestens seit seinem Solo-Debüt »Invisible Loop« 1997 in der zeitgenössischen Jazzszene präsent und produktiv, längst auch international (wovon 2010  sein Album »My Home is My Tent« erzählte) und sowohl als Gast (etwa bei Carla Bleys »Escalator over the Hill« in Essen 2006) wie auch fest als Stimme im Quintett »JazzIndeed« oder der mini big band »Thärichens Tentett«.
„Als Sänger kann man ja eigentlich gar nicht Sideman sein - aber ich hab mich oft so gefühlt und eingefügt“ erläutert Schiefel und ist stolz auf sein »Platypus Trio«. „In diesem Fall ist es wirklich meine Musik und das macht total Spaß - es ist irgendwie eine andere Identität.“
 „Fairytales in blue, come true, for you…“ heißt es in „Listen!“, dem Opener des Albums – eine Einladung, die Antennen gleich doppelt auszurichten: zum Einen berichtet »Platypus Trio« tatsächlich vom abwechslungsreichen Leben des Schnabeltiers - von »Platypus Dancing« über »Swimming« und »The Home of the Platypus« bis hin zu »Dreamtime Platypus«, das die australische Aborigine-Legende vom Schnabeltier einmal ausführlich erzählt. Ein freundliches und schlaues Tier übrigens.
Zum anderen entwirft das »Platypus Trio« ein buchstäblich unerhörtes Klanguniversum: Michael Schiefels Stimme (und nur wenig Elektronik), Jörg Brinkmanns Cello und nicht zuletzt das Cimbalom von Miklós Lukács umkreisen einander auf unvorhergesehenen Orbitalbahnen. „Das Cimbalom ist ein Instrument mit sehr ungewöhnlichem Klang“ schwärmt Michael Schiefel. „Es ist ein bisschen wie Klavier, aber man spielt es mit zwei Schlegeln, das macht es viel perkussiver. Das erfordert auch eine andere Spieltechnik, weil man nur zwei Töne gleichzeitig anschlagen kann. Miklós geht damit sehr virtuos um, sonst wäre es wohl auch nicht so spannend. Aber er kann damit unheimlich vielfältige Farben erzeugen, die man so noch nicht gehört hat. Das finde ich besonders interessant.“
Der Cellist Jörg Brinkmann steuert mal lyrisch gestrichene Kantilenen, dann wieder solide groovende Basslinien bei. „Dann klingt es nicht sehr kammermusikalisch, eher ein bisschen in Richtung Balkan-Jazz“ beschreibt Bandleader Schiefel sein Trio. „Sehr verkürzt gesagt, bewegen wir uns zwischen diesen beiden Polen.“
Doch so ungewöhnlich diese Mischung zunächst scheint: das »Platypus Trio« ist kein Zufalls-Produkt, sondern das Ergebnis von Schiefels Einladung zum „Improviser in Residence“ durch das »nimm! - Netzwerk Improvisierte Musik Moers« im Jahr 2013. Michael Schiefel gestaltete seine einjährige Residence nicht nur mit improvisierten Solokonzerten in Geschäften der Moerser Innenstadt (von denen er in Anke Engelkes Fernseh-Show „Anke hat Zeit“ erzählte) und Workshops mit interessierten Kindern an Schulen. 
„Ich hatte auch eine Carte Blanche für das Moers Festival, durfte dafür ein eigenes Projekt erfinden“ berichtet Michael Schiefel. „In diesem Jahr habe ich die Musik geschrieben, das Trio zusammengestellt und wir haben es auch beim Festival aufgeführt. Und jetzt wollte ich dieses Projekt auch als CD aufnehmen. Das haben wir in Budapest gemacht, wo ja Miklós herkommt.“
Die erstaunliche Klangwelt des Cimbalom-Spielers Miklós Lukács hatte Michael Schiefel schon 2010 kennen gelernt, als das Jazzlabel des Budapest Music Centers ihn und den Berliner Pianisten Carsten Daerr zu einem gemeinsamen Quartett mit Miklós Lukács und dem ungarischen Bassisten Mátyás Szanday eingeladen hatte. Damals war das Album »Gondellied in the Sahara« entstanden. Auch »Platypus Trio« erscheint jetzt auf BMC Records, das wegen seiner internationalen Produktionen zu den interessantesten Jazzlabels Europas zählt.
Jörg Brinkmann kennt Schiefel schon, seit sie beide an einem Wagner-Projekt der Saxophonistin Angelika Niescier mitgewirkt hatten. Der vielseitige Cellist (mit eigenem Trio, in Kammerensembles, mit Eric Vloeimans und Claudio Puntin unterwegs) ergänzt das »Platypus Trio« perfekt: rhythmisch treibend, klanglich einfühlsam, blitzschnell agierend – und reagierend.
Michael Schiefel hat sich als Bandleader auf neues Terrain vorgewagt – und erweist sich auch hier als einfallsreicher und erfahrener Komponist, der seine ohnehin schon beeindruckende Bandbreite um ein weiteres, wunderbares Klangspektrum erweitert.

„Der Platypus räusperte sich und sagte: „Danke euch allen, dass ihr heute hierher gekommen seid.
 Ich will euch folgendes sagen: Ja, ich habe ein bisschen von einem Landtier in mir:
Ich hab ein Fell und ich laufe gern auf dem Boden herum.
Aber ich habe auch etwas von einem Vogel an mir: ich trage einen Schnabel,
und ich lege Eier. Und ich habe auch etwas von einem Wasserwesen, denn mein Haus
 liegt am Wasser und ich liebe es, zu schwimmen und die Unterwasserwelt zu erkunden.
Deshalb habe ich mich entschieden, keiner von euren Gruppen beizutreten.“
aus einer Aborigine-Legende

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ECHO Jazz 2013

Wow, ECHO Jazz 2013 - Sänger der Jahres / national - ich freu mich!

 

Improviser in Residence - Moers 2013

Ich freue mich sehr, im nächsten Jahr Improviser in Residence in Moers zu sein! Natürlich habe ich schon viele Ideen für das kommende Jahr, aber die werde ich Euch erst nach und nach verraten!
Zur Begrüßung möchte ich im Januar eine Klanginstallation vorstellen: Es ist eine gesungene Uhr für die Stadt Moers. Aus den Sekunden, Minuten und Stunden entsteht ein Klangteppich, aus dem man die Uhrzeit heraushören kann. Wer mag, kann immer mal wieder vorbei kommen und hören, wie die verschiedenen Tageszeiten so klingen. Die Uhr wird im Januar im öffentlichen Raum ausgestellt. Wo genau sie zu finden ist, verrate ich auch noch nicht.
Jetzt wünsche ich erstmal allen Freunden und den Bürgern der Stadt Moers einen geruhsamen Jahreswechsel. Wir sehen uns im neuen Jahr!
Bis bald,
Michael Schiefel

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Neues Album mit Thärichens Tentett

Thärichens Tentett
AN BERLINER KINDER

Double Moon CD
Veröffentlichung 10/2012

Bestellen bei www.amazon.de

Die CD eröffnet mit einem Titel („Deutsch“), der den Zweifel voranstellt: Wenn ich Deutsch sing´ find ich´s komisch – der aber wird im weiteren Verlauf pulverisiert. Im folgenden Titelstück „An Berliner Kinder“ verflechtet Thärichen den sarkastischen Text Ringelnatz´ mit einer Komposition, die aus dem Gedicht ein Gesamtkunstwerk werden lässt. Auch in den weiteren Stücken der CD versteht es Thärichen, die Atmosphäre der Lyrik musikalisch zu verdichten, sei sie nun eher satirischer Natur („Der Schizophrene“/Hugo Ball), von einer tiefen Trauer durchsetzt („Abschied“ und „Totenklage“/Hugo Ball, „Aus“/Joachim Ringelnatz), oder mit viel Augenzwinkern angereichert („Genau besehen“ und „Ferngruß von Bett zu Bett“/Ringelnacht, „Seepferdchen und Flugfische“/Hugo Ball). Hier reiht sich eine deutsche Übersetzung von William Shakespeare´s Sonett Nr. 87 ein, einem (hoffnungslosen) Liebesgedicht. Und eine einmalige Version von Bachs Arie BWV 213, Nr. 3, in der es u.a. heißt „Schmecke die Lust Der lüsternen Brust“ (der Text wurde bei der Weiterverwendung der Arie im „Weihnachtsoratorium“ deutlich angepasst…). Eine immense Herausforderung für Schiefels Stimmorgan und für Thärichen´s Arrangierkunst! Beide meistern sie glänzend – fürwahr ein musikalisches Kleinod.

 

Neues Album mit JazzIndeed

JazzIndeed
OSTKREUZ

A-Jazz (NRW)
Veröffentlichung 05.08.2011

Bestellen bei www.amazon.de

JazzIndeed bündeln auf dem neuen Album alles, was ihre Musik so großartig macht: Eine  sehr melodiöse, liedhafte Herangehensweise mit feinnervigen Rhythmen und ohne Berührungsängste mit der Popmusik – einerseits. Anderseits viele Ingredienzien, die guten Jazz ausmachen: Freie Improvisation, nonverbaler Gesang, Dynamik und rhythmische Vielfalt. Vermeintliche Gegenpole finden bei JazzIndeed eine erstaunliche Balance.
Wer so lange in Berlin lebt und arbeitet – wie die Musiker von JazzIndeed – darf – ja eigentlich: muss sich dann auch einmal ausführlich mit der Heimat auseinandersetzen.
Das neue Album „Ostkreuz“ ist eine Liebeserklärung an die deutsche Hauptstadt.
Dazu gehören zahlreiche eigene Stücke (wie „Ringbahn“ oder „Nachtbus“), aber auch einige äußerst sympathische und gewitzte Jazz-Versionen von Klassikern der (Berlin-) Popgeschichte.
Es ist sehr eindrucksvoll, was JazzIndeed aus David Bowies „Heroes“ gemacht haben (sogar mit einer Text-Zeile in Deutsch) und wie unbekümmert, augenzwinkernd und zugleich geschickt sich das Quintett mit der „Berlin“-Hymne von Fischer Z auseinandersetzt.
Sehr charmant, die Art und Weise wie mit „Die letzte U-Bahn kommt später“ auch ein Song der Band Element of Crime bearbeitet wird und von Michael Schiefel so cool, lässig und dabei voller Tiefe gesungen wird, dass es diese Version mit dem ohnehin schon großartigen Original aufnehmen kann.
Ohne Frage: Das neue Werk von JazzIndeed präsentiert die Band auf den Höhepunkt ihrer bisherigen künstlerischen Arbeit.

 

Neues Soloalbum

Michael Schiefel
My Home Is My Tent

Traumton 4539-2
Veröffentlichung 7.5.2010

„My Home Is My Tent“ ist Michael Schiefels fünfte Solo-Arbeit und seine vierte CD für Traumton. Es ist ein Album, das seinen schmalen Schultern eine konzeptuelle Doppelbelastung aufbürdet, und soviel sei schon verraten: Er trägt sie mit Leichtigkeit.

Zunächst ist es ein „Themenalbum“, das einen lyrischen und musikalischen Blick auf neun Großstädte wirft, die der Sänger (mit einer Ausnahme) in den letzten Jahren und Monaten bereist hat. Andererseits ist es ein Solo-Album im allerwahrsten Wortsinn, das zu 100 Prozent aus Michael Schiefels vokalen Äußerungen besteht. Das beschreibt, wie seine Fans und seine Kritiker wissen, ein weites Spektrum: vom generischen Jazzgesang zum expressiven Ausdruck, von feminin bis maskulin, von Naturschauspiel bis digital-effektiv, vom Scatgesang zum Beatboxing. Die einzigen Werkzeuge sind dabei ein für ihn entwickeltes Loopgerät, mit dem er seine Stimme auf sich selbst zurückwerfen und, je nach Bedarf, zu mehrstimmigen Chören oder ganzen Vokal-Ensembles schichten kann; und ein Laptop, dessen Software dem ausgeprägten Spieltrieb seines Benutzers unbegrenzte Möglichkeiten der Deformation, Dehnung, Streckung und Gestaltung der Stimmfragmente in die Hand gibt. Mit diesen Mitteln kann Schiefel komplexe, an außerweltliche Madrigale erinnernde Mehrstimmigkeit erzeugen, oder auch mal eine komplette Band mit Schlagzeug, Bass und Harmonieinstrumenten.

„My Home Is My Tent“ wurde im Traumton-Studio in Berlin aufgenommen. Zum Teil wurden Arrangements, die Schiefel bereits „on the road“ angefertigt hatte, mit neuen Lead-Stimmen versehen und finalisiert, andere Stücke entstanden als spontane Improvisationen. Einige Tracks, wie der emblematische Titelsong, basieren auf Texten (von Max Hirsh und Michael Schiefel selbst) und folgen ihrer ganz eigenen Form von Songformat. Andere bleiben nonverbal und abstrakt. Den ideellen Zusammenhalt stiftet eine Reihe von dreistelligen Akronymen, die wir alle von den kleinen Wimpeln an unseren Gepäckstücken kennen. In „TLV“ zum Beispiel tauchen wir direkt ein in das multilinguale Stimmengewirr von Tel Aviv mit seinen Discos, Hochhäusern, Mobiltelfonen und kurzen Zündschnüren, die den Besucher schnell ans Wasser treiben. Wie es im Text heißt: I prefer the beach. Und so geht es weiter, zum Beispiel nach Moskau, dessen Dunkelheit und Kälte mit langen, liegenden Tönen und einem frostigen Hall auf der einsamen Leadstimme spürbar wird. Ganz im Gegensatz dazu Hong Kong, das Michael Schiefel, trotz des Gewusels stets „wie eine warme Badewanne“ empfindet. Es folgen Stationen wie San Francisco, Karatchi, New York und Boston, welches den vielleicht berührendsten Song des Albums inspirierte: Titelheld „Benjamin“ ist mit außergewöhnlichen Fähigkeiten gesegnet, behält sie aber lieber für sich. Die Geschichte enthält ein paar Motive, die uns in Schiefels bisherigen Songs schon häufiger begegnet sind: Außenseitertum, Entfremdung und die Kraft der Kreativität. Am Ende steht die Rückkehr auf den harten Boden der Tatsachen: „TXL (Back In Berlin)“ ist eine Meditation über das Ankommen in einer vertrauten, aber darin auch ganz schön deprimierenden Welt. Dahinter schließlich liegt nur noch Funafuti – der einzige Flughafen der Platte, auf dem Schiefel noch nie war. Und genau darum geht es ihm. Wie er im ersten Song singt: I think I should be in Funafuti / get lost in the sea. Funafuti wird zum idealisierten, fernen Ort, dessen Reiz sich noch dadurch erhöht, dass sein Flughafenkürzel FUN lautet.

Spaß ist, bei allem Tiefgang und seiner offenkundigen Virtuosität, ein Faktor, den man bei Michael Schiefel nie unterschätzen sollte. Spaß an klanglicher Fabulierkunst, Spaß am technischen Fortschritt, Spaß an der eigenen Stimme, am einsamen Basteln wie am kollektiven Musizieren, wie er immer wieder als Stammspieler in den Formationen Jazz Indeed und Nicolai Thärichens Tentett beweist. „Auf My Home Is My Tent“ verbindet er diese Leichtigkeit mit persönlichen Betrachtungen, Erfahrungen und musikalischen Ansätzen. Es ist eine Einladung an alle, die sich von Musik lieber herausgefordert fühlen als eingelullt, und die für eine außergewöhnliche Erfahrung kein Hotelbett brauchen, wenn doch manchmal ein Zelt ausreicht.

 

New Single (digital only)

Michael Schiefel
BOYS DON'T CRY

TRAUMTON 4546-2
Veröffentlichung 21.5.2010

 

Boy's don't cry

 

 

Neues Album mit Thärichens Tentett

Thärichens Tentett
FAREWELL SONGS

Traumton 4528-2

Kurzer Blick zurück, Deutschland im Jahr 2001: Immer mehr Jazzmusiker ziehen in die Hauptstadt, es heißt, es entstehe dort ein neuer Sound, unbeschwert, verspielt, exzentrisch. Skeptiker nörgeln am Berlin-Hype, doch mit etwas zeitlichem Abstand lässt sich die Tragweite der Entwicklung nicht mehr leugnen: Es schält sich zu jener Zeit eine Spielart des Jazz heraus, die das Originelle zum größten Gut erklärt, ohne dabei gegen Traditionen zu rebellieren; die Pop mag und auch Kammermusik, Big Band Swing genauso wie Frank Zappa; und die sich nicht damit zufrieden gibt, die Mauern der Kategorien einzureißen, sondern aus der neu entstandenen Freiheit einen eigenen Stil formt. Folglich sind es nicht einzelne virtuose Solisten, die den Ton angeben, sondern improvisierende Komponisten. Allen voran der Pianist Nicolai Thärichen, der 2001 „Lady Moon“ veröffentlicht, die erste CD seines Tentetts. Ein irrer Wurf: Er nimmt sich Gedichte vor, ganz unjazzgemäße, von Lord Byron, Thomas Hardy und Ronald D. Laing. Versammelt einige der besten Jazzer Berlins zu einem Klangkörper, den er biegt und knetet, bis aus den Gedichten tanzende Skulpturen werden, die sich aufbäumen können zu einer donnernden Big Band, um sich im nächsten Moment filigran zu verschlanken, als hätte man es mit kammermusikalischen Giacomettis zu tun. Und er toppt das ganze mit der Stimme Michael Schiefels, der androgyn, sinnlich, überdreht, virtuos, kurz: völlig durchgeknallt ist, jedenfalls wenn er auf der Bühne steht und sich in eine „Scat-Rampensau“ (Josef Engels in „Rondo“) verwandelt. Thärichen, damals 31, ist geglückt, was Künstler meist nur einmal im Leben schaffen: Er hat eine tragende Idee gefunden, einen Masterplan für eine ganze Künstler-Laufbahn. Diesen gestaltet er in den folgenden Jahren mit den Alben „The Thin Edge“ (2003) und „Grateful“ (2005) konsequent aus. Sein Tentett bleibt ihm so gut wie ohne personelle Veränderungen erhalten. Auch seine Lieblingsdichter bleiben ihm treu, v.a. Ronald D. Laing, Mitbegründer der Anti-Psychiatriebewegung und gnadenloser Sarkast; andere, wie Dorothy Parker, kommen hinzu. Und das Publikum? Wird von Jahr zu Jahr, von CD zu CD, enthusiastischer. Die SZ preist Thärichens Tentett als „das kompositorisch Gelungenste, arrangementtechnisch Ausgefeilteste und in der Präsentation Humorvollste, was derzeit in Deutschland von einer größeren Besetzung kommt“. Und über Michael Schiefel urteilt die FAZ: „Einen solchen Jazzsänger hat Deutschland vielleicht noch nie gehabt“.
Nun also, acht Jahre nach dem Debüt, Album Nummer vier. Und was liest man im Titel? „Farewell Songs“! Thärichen nimmt Abschied? Das klingt so melancholisch, man fragt sich, wie das zum Temperament dieser Band passen soll. Der mittlerweile 39-Jährige wird doch hoffentlich nicht einer Midlife-Crisis anheim gefallen sein?

Kein Grund zur Sorge: Nicolai Thärichen und seinem Tentett geht es bestens. Musiker wie Stücke sprühen vor Ideen. Das AC/DC-Cover „Up to my neck in you“ macht den Anfang, virtuos arrangiert, volle Kraft voraus. Und doch: Um Abschied geht es in beinahe jedem Stück. „Farewell Songs“ ist Thärichens persönlichste Platte bisher. Tiefe Einschnitte der letzten Zeit fließen in die Musik ein. Die dreiteilige „Farewell Suite“ widmet er seinem kürzlich verstorbenen Vater, dem Komponisten, Autor und langjährigen Solo-Pauker der Berliner Philharmoniker, Werner Thärichen (1921-2008). Doch wie nur vertont man den Abschied vom Vater? Nicolai Thärichens musikalische Trauerarbeit umfasst ein ganzes Gefühlsspektrum: Die Suite schreitet von Trauer und Schmerz („Waltz for my Father“) zum fragenden Innehalten („Strange Bells“) und findet beim Song „If“ ein versöhnliches Ende in den lapidaren Zeilen Robert Creeleys: „...you’ve had the world, such as you got. / There’s nothing more, there never was.“ Thärichen erreicht mit dieser Suite eine neue Dimension kompositorischer Reife. Bei seinem Tentett erklingt ein Gefühl wie Trauer nicht als Zustand, sondern als Prozess: Während zwei der großen Lyriker unter seinen Solisten – der Trompeter Sven Klammer und der Flötist Andreas Spannagel – in ihren Soli klangfarbliche Introspektion betreiben, beginnt die Band zu brodeln, bis Trauer in Wut und Aggression umschlägt. Verlust heißt hier auch, dem inneren Kontrollverlust zu begegnen.

Abschied à la Thärichen hat allerdings nicht zwangsläufig mit Trauer zu tun. In Dorothy Parkers Gedicht „On being a woman“ wird selbstironisch über die allzumenschliche Entscheidungsschwäche hergezogen: Bin ich in Rom, will ich nach Hause, bis ich zuhause, will ich nach Rom. Eine solche Steilvorlage lässt sich Michael Schiefel nicht nehmen: Er legt los mit einer Scat-Improvisation, aber nicht getreu den Konventionen des Jazz, sondern in der Stimme eines überkandidelten Opernhelden. Sein Vibrato trieft vor Camp-Pathos, zwischendrin wähnt man sich in der Bohemian Rhapsody, und als ob das alles nicht schräg genug wäre, beginnen die Bandmitglieder auch noch, den Rhythmus als Human Beat-Box zu sprechen. Nicht wie es Hip-Hopper tun, bumm-tscha-bumm, sondern mit extrem merkwürdigen Lauten. Hört man richtig? Singen die da wirklich „Bumm da-ga-disch uh-uh-dicke Backe“? Exaltiert und skurril: Die Abschiede des Thärichen Tentetts machen richtig Spaß. Erst recht, wenn die Galligkeit Ronald D. Laings zum Zuge kommt („Unadored“). Wenn der Partner einen behandelt wie Dreck, warum ihn nicht verlassen mit Worten wie diesen: „It’s none to soon / for a new spittoon / and something else to shit in“? Dazu der funkige Groove im 7/4-Takt: Tür zuschlagen im Tanzschritt. Auch das kann man lernen von Thärichens Tentett.
Ganz anders dagegen die ruhig dahin gleitende Ballade „This Time“: Hier geht es dann doch noch um die Liebe. Ausnahmsweise sogar um eine glückliche, und dabei unerwartete. Manches Gefühl, auch das ist Thema dieser sehr persönlichen Platte, versteht man eben erst mit der Zeit.

Die „Farewell Songs“ von Thärichens Tentett klingen so abgeklärt wie tiefgründig, sind todernst und total abgedreht. Sie handeln vom Verlieren und vom Finden, und davon, dass man das eine selten ohne das andere bekommt.

 

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Aktuelles Soloalbum

Michael Schiefel
DON'T TOUCH MY ANIMALS

ACT 9711-2

Am Anfang war der Mut. Michael Schiefel wollte singen, doch er hatte wenig Lust, sich in den ausgetretenen Pfaden der Jazzstilistik zu bewegen. Sicher, das Handwerkszeug musste er mitbringen, eine solide Stimmausbildung etwa an der Hochschule der Künste in Berlin, grundlegende Bühnenerfahrungen ebenfalls, die er sich in Combos der Anfang der Neunziger aus dem kulturellen Dornröschenschlaf erwachenden Großstadt aneignete. Der Rest jedoch blieb offen, zur freien Gestaltung. Schiefel begann zu experimentieren, hörte McFerrin und bekam gezeigt, dass es nicht zwangsläufig eine Band braucht, um vor Publikum zu bestehen. Und er stieß auf ein technisches Hilfsmittel, ein Loop-Gerät, das es ihm ermöglichte, sich selbst live akustisch zu vervielfältigen. Aus dem Solisten wurde ein Orchester, lineare Melodiebögen wuchsen zu verwinkelten, verspielten Vokal-Architekturen heran. Hier ein Klangerkerchen, da ein Tontreppchen, zuweilen auch ein versteckter Notausgang, um zum Kern des Gesangs zurückzufinden.
Das war der Stand Mitte der Neunziger. Schiefel wagte den Sprung in die Solo-Karriere und veröffentlichte "Invisible Loop" (1998) und "I Don't Belong" (2000). Presse und Publikum reagierten begeistert. Man bestaunte seine Fähigkeit, sich musikalisch zu verwandeln, in Rollen zu schlüpfen, man lobte Timbre, Intonationssicherheit, stilistische Flexibilität und war fasziniert von der individuellen Gestaltungslust und Ideenvielfalt, die hierzulande ihresgleichen suchte. "A Star is born", frohlockte eine Gazette und brachte damit die Stimmung in der Szene auf den Punkt. Indes, Schiefel selbst sah seine Entwicklung nüchterner. Schließlich gab es für ihn noch viel zu lernen, allem Erfolg zum Trotz. Außerdem begann die Berliner Szene zu schillern und immer mehr reizvolle Projekte hervorzubringen. So kam zum Solo-Künstler bald der Gruppenmusiker hinzu, der bei jazzIndeed nach seinen funky Wurzeln suchte, mit Thärichens Tentett dem inspirierten Intellekt frönte, im eigenen Trio den Balladier pflegte und zuweilen mit David Friedman klassisch modern jazzte.
Aus dem Geheimtipp wurde Konsens, sogar eine Institution. Im Jahr 2001 berief die "Hochschule für Musik Franz Liszt" in Weimar Schiefel auf eine Professorenstelle. Was er sich zuvor kreativ erarbeitet hatte, konnte der gerade mal Einunddreißigjährige nun an seine Studenten weitergeben. Mit dem Album "Gay" (2003) brachte er daraufhin sein Trio mit Liebesliedern ins Studio, zwei Jahre später widmete er sich mit "Blaue Augen" (ACT 9651-2) und dem Quintett jazzIndeed dem Song-Erbe der Neuen Deutschen Welle. Die Konzerte wurden mehr, das Goethe-Institut schickte Schiefel als Kulturexport um die Welt, Thärichens Tentett entwickelte sich nicht zuletzt durch sein vokales und darstellerisches Talent zum gefragten Festival-Act. Währenddessen feilte er weiter an den Soloprogrammen, schrieb Songs und probierte sie zuweilen auf der Bühne aus.
Den Ausschlag aber gab wieder einmal die Technik. Ein Update des geliebten Loop-Gerätes kam unlängst auf den Markt und eröffnete neue Möglichkeiten der KlangcollageFrisches Repertoire hatte sich angesammelt uns so begab sich Michael Schiefel wieder vor die Mikrofone, um sein Stimm-Experiment mit "Don't Touch My Animals" fortzusetzen. Die Lieder sind mal deutsch, mal englisch gehalten, erzählen Geschichten von der Liebe und den Wirrungen von Beziehungen, entwerfen skurrile Soziogramme des Stadtlebensoder reflektieren ironisch die vermeintlichen Aporien des Deutschen. Alle Beats, alle Sounds, alle Melodien bestehen aus Stimme und setzen sich zu einem brillanten Patchwork popjazziger Stimmungen und Rhythmen zusammen, das weiterhin seinesgleichen sucht. Und das mit "Aufm Dorf und Inner Stadt" ganz nebenbei den Sommerhit des Jahres präsentiert.
RALF DOMBROWSKI.

 

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